Die Regierung Jospin und die Erwerbslosigkeit

Die »rosa Welle« der sozialdemokratischen Regierungen in Europa in den neunziger Jahren fällt zusammen mit der Unfähigkeit der konservativen Regierungen, die Frage der Langzeitmassenarbeitslosigkeit zu lösen. Fast 20 Millionen Arbeitslose in der Europäischen Union hofften, mit linken Regierungen wieder die Vollbeschäftigung der Nachkriegsjahrzehnte zu erreichen.

Das Ergebnis nach weniger als einem Jahrzehnt: Die sozialdemokratische Regierungen haben das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht gelöst und wurden, ausser Schröder, abgewählt.

Die Regierung Jospin wurde noch als die angesehen, die am ehesten etwas besser machen konnte. In der Tat war es die Regierung Jospin, die aufgrund der Demonstration der Europäischen Märsche im Jahre 1997 in Amsterdam die Europäische Union darauf drängte, sich der Frage der Beschäftigung anzunehmen. Noch im selben Jahr wurde sogar ein Beschäftigungsgipfel in Luxemburg einberufen. Schließlich wollte man das Problem dort behandeln, wo es notwendig war, nämlich auf europäischer Ebene!

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Bald war aber ersichtlich, dass die sozialdemokratischen Regierungen nur Lösungen im Rahmen der neoliberalen Politik der Europäischen Union suchten, nämlich der »GOPE« (Grandes Orientations de Politiques Economiques = die großen wirtschaftspolitische Leitlinien) und des Vertrags von Maastricht.
Es ging ihnen darum, den Arbeitsmarkt in der Europäischen Union zu vereinheitlichen, d.h. die nationalen Staaten insbesondere zur Flexibilisierung zu zwingen und damit erneut Zuwendungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfeen in Frage zu stellen. Damit sollten die Erwerbslosen »aktiviert«, das heißt unter Druck gesetzt werden, irgendeine Arbeit anzunehmen, egal unter welchen Bedingungen und für welchen Preis.
Das Ergebnis kennen wir: nach einem leichten Rückgang ist die Erwerbslosigkeit wieder gestiegen, und die Zahlen der der unsicheren Arbeitsplätze sind explodiert.

Als Jospin im Sommer 1997 an die Regierung kam, zog die Linke grosse Hoffnungen auf sich, vor allem bei Erwerbslosen. Aber die Regierung Jospin hat keine Massnahmen zu ihrem Gunsten ergriffen. Die Politik von Jospin geht in die selbe Richtung wie die der anderen Regierungen in Europa: unsichere Arbeit statt Sozialhilfe, entsprechend dem Grundsatz: »Je niedriger die Arbeitslosenhilfe ist, desto leichter werden die Arbeitslosen Arbeit mit niedrigerem Lohn annehmen.«

Im Winter 1997/98 konnten die Erwerbslosenverbände einen moralischen und politischen Sieg erringen, denn die Regierung musste ihre Vertreter/innen empfangen. Dies war das erste Mal in der Geschichte des Landes, dass Vertretungen von Erwerbslosen von einer Regierung empfangen wurden, noch dazu unter dem Druck von Kämpfen.

Im Übrigen waren die Ergebnisse ziemlich bescheiden: Es wurde ein Hilfsfond mit einer Milliarde Francs eingerichtet, zirka 800F (121 Euro) bis 1500F (227 Euro) pro Person. Die sozialen Minima wurden um 8 Prozent angehoben.

Obwohl das Wirtschaftswachstum einige Spielräume einräumte, lehnte die Regierung Jospin jede Wiederbelebung des Experiments ab und versagte den ungesicheren Erwerbslosen eine Verbesserung ihrer Lage. Einer von Jospins Wahlkampfleitern erklärte sogar den Erwerbslosenorganisationen, daß die Erhöhung der sozialen Minima keine Gewinn für die Wahl brächte....

Danach verabschiedete die Regierung ein Gesetz gegen soziale Ausgrenzung. Die vorgesehen Massnahmen brachten nur begrenzte Rechte mit sich, beispielsweise Rabattmarken... Das Gesetz schliesst jede Erhöhung des Mindestbeträge der Sozialhilfe aus. Dieses Gesetz beseitigt in keiner Weise die Gründe für die Armut, es schlägt lediglich hinlänglich bekannte Lösungen vor.

Weiterhin führte die Regierung Jospin den sogenannten »PARE« (Plan d'Accès et Retour à l'Emploi = Plan zur Hilfe und Rückkehr zur Beschäftigung) ein, eine Massnahme, untermauert mit einem zusätzlichen Instrument, dem sogenannten »PAP« (Projet d'Action Personalisé = personalisiertes Aktionsprojekt). Danach drohen Erwerbslosen Sanktionen der Arbeitsämter, wenn sie niedrigbezahlte Arbeitsangebote nicht annehmen. Ihnen werden wenig sinnvolle Bildungmassnahmen und Beschäftigungen angeboten, die sie nicht mehr als dreimal ablehnen können. Dieses Verfahren folgt der Logik des zunehmenden Abbaus sozialer Sicherung: Streichung des Arbeitslosengeldes bei Verweigerung; unzureichende Gewährleistung auf freigewählte, angemessene und bezahlte Bildungsmassnahmen; niedrigeres Arbeitslosengeld bei erneuter Erwerbslosigkeit.
Unter dem Vorwand der Beschäftigungspolitik und der sozialen Eingliederungsmassnahmen werden Grundrechte ausgehöhlt und die sozialen Unsicherheit erhöht.

Auch die Verweigerung, gegen Massenentlassungen vorzugehen charakterisierte die Regierung Jospin - obwohl in Frankreich der Staat immer Einfluss auf die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern hat, wenn er die Soziallasten finanzieren muss. Massenentlassungen gab es meistens bei Unternehmen, deren Aktienkurse stiegen, die Arbeitsplätze ins Ausland verlegten und sich von Soziallasten befreien wollten.

Schließlich entstand auch das Gesetz über die 35-Stunden-Woche.
Ein solches Gesetz könnte einen Fortschritt zur Umverteilung der Arbeitszeit darstellen, in der Tat öffnete es aber einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes Tür und Tor, vor allem durch den Übergang auf die Jahresarbeitszeit. Dieses Gesetz war eine Gelegenheit für die Arbeitgeber, die bestehenden Tarifvereinbarungen wieder in Frage zu stellen. Zum anderen erfolgten meist keine Neueinstellungen, beispielsweise im öffentlichen Dienst. Dort wurde die Arbeitsproduktivität erhöht, anstatt neu einzustellen. Schließlich fand das Gesetz keine Anwendung auf kleine handwerkliche Unternehmen- dort, wo den Arbeitszeiten oft keine Grenzen gesetzt sind.

Die Regierung Jospin reduzierte die Jugendarbeitslosigkeit, aber das nur mit Hilfe subventionierter und unsicherer Arbeitsplätze, insbesondere die »Emplois jeunes (junge Arbeitsplätze)«, die zu drei Vierteln durch den Staat finanziert werden. Der Anteil der stabilen Arbeitsplätze geht nach wie vor zugunsten von unsicheren Arbeitsplätzen, Zeitarbeit usw. zurück.

Positiv ist, trotz seiner Grenzen, zu vermerken, dass das CMU (»Couverture Maladie Universelle«, ein Gesetz zur Krankenversicherung) den ärmsten 5 Millionen Menschen, darunter vielen Erwerbslosen, Zugang zu ärztlichen Behandlungen gewährte.

Um das Ganze zu krönen wurden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, die darauf abzielen, die sozialen Bewegungen zu unterdrücken und zu kriminalisieren. Dazu kam, dass die Hälfte der »Sans Papiers« (ohne Papiere, also Pass oder Aufenthaltsgenehmigung) auch ohne Papiere blieben.

Man kann damit begreifen, warum die verschiedenen Komponenten der linken Regierung (Sozialdemokratie, kommunistische Partei, Grüne), die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Frühling 2002 verloren haben. Ein Teil der Wählerschaft entschied sich für die Organisationen der extremen Linken, aber die Mehrzahl war von der Linken enttäuscht. Insbesondere Erwerbslose gingen nicht zur Wahl oder gaben sogar den Konservativen oder Rechtsextremen ihre Stimme. Einmal an die Macht zurückgekommen wendet die Rechte die neoliberale Politik noch brutaler an - mittlerweile in den meisten europäischen Ländern. Das ist umso gravierender, da die Europäische Union ihre Erweiterung und eine Verfassung vorbereitet, die die sozialen Rechte, insbesondere das Recht auf Arbeit, nicht anerkennt.

Michel Rousseau, Sekretariat der Euromärsche
Artikel für die Erwerbslosenzeitung »Quer«

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